Publikation von Prof. Dr. Norbert Pallua
Die Gesichtstransplantation: Meilenstein oder Stein des Anstoßes?
Autoren: Univ.-Prof. Dr. Dr. med. Prof. h.c. Norbert Pallua, Dr. med. Dan mon O`Dey, Aachen
Komplexe Gewebeverpflanzungen sind zu Routineeingriffen an operativen Zentren mit mikrochirurgischer Erfahrung geworden. Die Plastische Chirurgie ist maßgebend an der fortwährenden Weiterentwicklung dieser autologen (Spender und Empfänger
sind dieselbe Person), syngenen (Spender und Empfänger sind genetisch identisch – eineiige Zwillinge), allogenen (Spender gehört der gleichen Art an), xenogenen
(Spender gehört einer anderen Art an) und schließlich der alloplastischen (künstliches Material) Transplantationen beteiligt.
Das Transplantationsgesetz regelt seit 1997 in der Bundesrepublik Deutschland die Zulässigkeit von Organspenden. Es ist jedoch verständlich, dass die Verpflanzung
von allogenem Leichengewebe zusätzlich ethische Fragen aufkommen lässt, welche in sozialen, religiösen, humanistischen und sicherlich individuell persönlichen
Werten wurzeln. Selbst nach dem Erfolg der ersten Transplantation eines Leichengesichtes im November 2005 durch die französischen Chirurgen Jean-Michel Dubernard und Bernard Devauchelle4 sowie einer Gesichtsverpflanzung in China im
April 2006 und einer Weiteren in Frankreich im Januar 2007, zeigt sich sowohl die fachspezifische als auch die fachfremde Welt in kontroverser Diskussion. Problematisch
bleibt die Kontrolle von Abstoßungsreaktionen durch komplexe immunsuppressive Langzeittherapien. Rückblickend auf die wissenschaftliche Geschichte müssen auch zunächst umstrittene Techniken objektiv beurteilt werden. Erst eine solche Beurteilung wird Zustimmung oder Ablehnung einer neuen Methode rechtfertigen. Die Verpflanzung eines Gesichtes birgt psychische und physische Risiken für den Empfänger.
Ebenfalls können die Angehörigen des Spenders psychischen Belastungen ausgesetzt sein. Bei der Gesichtsverpflanzung kommt es ebenso wenig wie bei der Verpflanzung von inneren Organen wie Herz und Lunge zu einer Übertragung von Spendereigenschaften.
Dennoch werden sowohl der Empfänger als auch die Angehörigen des Spenders einen mehr oder weniger einschneidenden, emotionalen Prozess durchleben. Insbesondere bei der Verpflanzung eines Gesichtes können etwaige Gesichtsdetails auf den Empfänger übertragen werden und subjektive Charaktereigenschaften vermitteln. Der Gesichtsschädel formt die Grundzüge und damit die Identität eines jeden Individuums maßgebend.1
Die ethischen Barrieren und insbesondere die „Nutzen-Risiko-Abwägung“ stellen Eckpunkte in der Debatte der Fremdgewebeverpflanzung dar. Rechtfertigt ein verpflanztes Gesicht das Risiko einer Transplantatabstoßung oder eine lebenslange
Immunsuppression mit allen entsprechenden metabolischen, entzündlichen und neoplastischen Nebenwirkungen? Kann eine Gesichtstransplantation (allogene Gewebeverpflanzung) bessere funktionelle und ästhetische Ergebnisse bieten als eine Gesichtsrekonstruktion mittels alternativen plastisch-chirurgischen Verfahren, wie
der Verwendung von etablierten Lappenplastiken? So kann bereits seit längerer Zeit eine Weichteilrekonstruktion des gesamten Gesichtes durch präexpandierte (vorgedehnte) Supraclaviculäre-Insellappen aus der vorderen Schulterregion vorgenommen werden.6 Sind eventuell schwer beeinflussbare psychische Beeinträchtigungen des Empfängers nach einer Gesichtstransplantation vertretbar? Rechtfertigt der erzielte Nutzen für
den Empfänger die Kosten für die obligate immunsuppressive Therapie und die ggf. lebenslange, ambulante Betreuung? Der Schlüssel zur Beantwortung dieser Fragen ist sicherlich in einer jeweils individuell patientenbezogenen Beurteilung zu suchen. Die Ausprägung der Deformierung, das Alter, Nebenerkrankungen und nicht zuletzt der individuelle Leidensdruck des Patienten werden immer die Wahl einer operativen Methode mitbestimmen.3 Vor der Abwägung aller relevanter Einschluss- und Ausschlusskriterien sowie entsprechender Aufklärung, sollte ein Patient prinzipiell einer aufwendigen Therapie zugänglich sein.5 Eine aktuelle Studie von Barker et al.2 unterstreicht, dass Patienten trotz ausführlicher Aufklärung über Risiken eher einer Gesichtstransplantation als einer
Lebertransplantation zustimmen würden. Diese Situation mag dadurch begründet sein, dass ein Gesicht primär keine lebenserhaltende Funktion übernimmt und daher primär keine Lebensgefahr bei ausbleibendem Operationserfolg besteht. Zudem stigmatisiert ein entstelltes Gesicht massiv und wird daher wenig bereitwillig toleriert. Vor diesem Hintergrund sollte jedoch jedem Patienten zugestanden werden, dass die Tragweite
eines solchen Eingriffs nicht adäquat eingeschätzt werden kann. Es wird daher immer Pflicht des Arztes bleiben, das „Für und Wider“ abzuwägen, um „Möglichkeit und Vertretbarkeit“ einer Therapie im Sinne des Patienten zu lenken. Aufgabe der Plastischen Chirurgie muss es daher bleiben, jeglicher körperlicher Entstellung die beste rekonstruktive Maßnahme entgegenzustellen. Nur dann kann unser Fach den Erwartungen und den gesetzten Ansprüchen gerecht bleiben. Somit stellt die Gesichtsverpflanzung eine zukunftsträchtige Möglichkeit zur Erweiterung der rekonstruktiven plastisch-chirurgischen Methoden dar. Der Erfolg bisheriger Verpflanzungen sollte diesen neuen Weg gehbar machen und genügend Motivation zur weiteren Erforschung risikominimierender Konzepte geben.